Motion mit Nebenwirkungen

2011-12-12
Geschäft 11.3763 – Motion WBK Filmgesetz - Nationalrat 12.12.2011

Heute entscheidet der Nationalrat über eine Motion, welche die neuen Förderkonzepte des Bundes grundsätzlich in Frage stellt. Es geht um die grundsätzliche Frage: Wie entscheidet der Staat über die Verteilung der Mittel der Kunstförderung? Die Schweizer Filmschaffenden fordern die Nationlaräte auf, die Motion abzulehnen.

Der Antrag der Fachkommission, der diesen Montag im Nationalrat behandelt wird, gibt sich unauffällig; man sieht es der Traktandenliste nicht an, dass es um den Film geht: "Entscheide über Finanzhilfen und andere Formen der Unterstützung”. Und auch der Text verkauft sich in Beamtengrau hinter seiner Brisanz: “Der Bundesrat wird beauftragt, Artikel 14 des Bundesgesetzes über Filmproduktion und Filmkultur (FiG, SR 443.1) so anzupassen, dass die in Artikel 14 Absatz 2 FiG erwähnten Experten während der gesamten Dauer ihres Mandates keine Finanzhilfen für eigene Projekte beantragen dürfen.” Die Unabhängigkeit der Entscheidungsträger von Eigeninteressen ist wohl ein universeller Wert des Rechtsstaates und des Gerechtigkeitsempfindens. Wir möchten ja auch nicht, dass Verwaltungsräte selber über ihre Boni entscheiden oder dass AKW-Betreiber in ihren eigenen Aufsichtsgremien sitzen.

Die Motion zielt jedoch ins Leere, denn sie behauptet ein Problem, dass einfach so nicht stimmt. Die Filmförderung des Bundes kennt wie die allgemeine Bundesverwaltung Ausstandsregeln. Experten, die an einer Entscheidung über ein Dossier ein Interesse haben, müssen in den Ausstand treten. Diese Vorschrift wurde in den Förderkonzepten 2012-15 noch verschärft: Der Ausstand gilt für die ganze Sitzung und unabhängig davon, wie geringfügig das Interesse ist.

Es geht jedoch bei der Motion um eine grundsätzliche Frage: Wie entscheidet der Staat über die Verteilung der Mittel der Kunstförderung? Wollen wir eine Staatskultur oder eine Kunstfreiheit, wie sie auch in der Verfassung steht?

Die Motion zielt darauf hin, in der Schweiz das Intendantensystem einzurichten, denn nur bezahlte Experten können sich überhaupt die notwendige Fachkompetenz aneignen, komplexe Filmprojekte zu beurteilen: Staatliche Intendanten wählen Stoffe aus, entwickeln diese mit den Produzenten und überwachen die Herstellung des Filmes. Der Experte kann auch perfekt dreisprachig lesen, kennt sich in vielfältigen Dramaturgien aus und hat die soziale Kompetenz, um auf die Sensibilitäten der künstlerischen Tätigkeit produktiv eingehen zu können. Damit er auch unabhängig ist, darf er keine finanziellen Interessen in der Filmproduktion haben und muss deshalb entsprechend entlöhnt werden.

Wir denken, dass es ist nicht Aufgabe des Staates ist, sich inhaltlich in die künstlerische Tätigkeit einzumischen. Der Staat schafft die Rahmenbedingungen, damit vielfältige und qualitativ hochstehende Kunst entstehen kann. Was die künstlerische und produktionnelle Beurteilung von Filmprojekten angeht, hat es sich gezeigt, dass es zu den Fachkommissionen mit Produzenten, Regisseuren, Autoren, Technikern, Verleihern und Filmkritikern keine valable Alternative gibt: Jedes Filmwerk ist ein Prototyp mit einem komplexen Entstehungsprozess mit bis zu hundert Beteiligten. Es gibt wohl wenig Branchen, die sich so dynamisch entwickeln wie die Filmbranche; und inhaltlich beurteilen kann nur jemand, der die Produktion aus dem eigenen Alltag kennt. Viele Augen sehen mehr und können Schwächen finden, aber vor allem auch Absprachen verhindern. Das Kommissionssystem ist übrigens auch ausserordentlich günstig: es kostet weniger als 1% des Filmkredits.

Die Kommission Wissenschaft, Bildung und Kultur hat an einem reich befrachteten Sitzungstag diese Motion als spontanen Antrag ohne weitergehende Abklärungen beschlossen. Die Filmschaffenden wurden übrigens von der Kommission zu dieser Motion nicht befragt. Die Schweizer Filmschaffenden hoffen jetzt, dass der Nationalrat diesen Entscheid nüchtern betrachten und - der Empfehlung des Bundesrates folgend - korrigieren wird.

Matthias Bürcher