Wir brauchen keine Staatskultur
2010-05-01
Matthias Bürcher, Ciné-Bulletin Mai 2010
Eine Arbeitsgruppe des BAK (1) bereitet zur Zeit eine Reform der Filmförderungskonzepte für die Legislaturperiode 2011-2015 vor. Nicolas Bideau, Leiter der Sektion Film des BAK, hat an den Solothurner Filmtagen angekündet, dass in dieser Arbeitsgruppe sehr offen über alle Optionen diskutiert werden soll. In der Tat stellen die aktuellen Vorschläge, die zur Zeit den Verbänden vorgestellt werden und bald in Vernehmlassung gehen, einen eigentlichen Paradigmenwechsel dar: Das BAK wandelt sich vom Filmförderer zum leitenden Filmproduzenten.
Der Kern der Reform besteht darin, die Begutachtungsausschüsse durch einen Pool von Experten zu ersetzen, die erstens alleine entscheiden und zweitens das Filmprojekt in der Entwicklung kritisch begleiten. Damit sollen ausgewählte Projekte «verbessert» und schliesslich, wenn sie reif sind, zur Produktion empfohlen werden. Es ist noch offen, wie dann entschieden wird. Das erklärte Vorbild ist das Commission Editor-System, das Dänemark vor etwa zehn Jahren eingeführt hat.
Alle Interessierten sind eingeladen, sich selber auf dem Website des Danish Film Institute ein Bild davon zu machen, wie ein solches Konzept tatsächlich umgesetzt wurde. Die interessanten Texte sind zwar nicht auf englisch, sondern nur auf dänisch verfasst, aber über Google Translate ziemlich zugänglich.
Vorauszuschicken ist, dass in Dänemark nicht nur wie bekannt wesentlich mehr Geld zur Verfügung steht, sondern dass die Produzenten auch die Alternative der automatischen Förderung 60/40 haben: Wenn sie glaubhaft nachweisen können, dass sie ein breites Publikum anvisieren, können sie bis 60 % des Budgets über den Staat finanzieren. Bei der selektiven Förderung mit den Commission Editors sind die Prozentsätze noch höher. Die ganze Filmförderung ist unabhängig vom Staat als Filminstitut organisiert. Für den Spielfilm sind zwei Commission Editors voll angestellt, dazu kommt noch eine Person für den Kinder- und Jugendfilm der ein Schwerpunkt der dänischen Filmförderung ist, und eine Person für Dokumentar- und Kurzfilme. Jeder Editor liest im Jahr etwa hundert Drehbücher, begleitet zwanzig Projekte in der Entwicklung und empfiehlt etwa fünf Projekte zur Produktion. Der Editor steht im ständigen Kontakt mit Autoren, Regie und Produktion, wählt Stoffe aus, diskutiert Ideen, Drehbücher, Produktionsdosssiers, begleitet das Casting und geht auch mal in den Schneideraum. Dabei konzentriert er sich vor allem auf die inhaltliche Entwicklung; für die produktionellen Fragen wird er von einem institutsinternen Produzenten unterstützt. Der Stellenbeschrieb lässt sich mit dem eines Fernsehredaktors vergleichen.
Ein solches Expertensystem für die Schweiz stellt schon rein praktische Probleme, auf die hier nicht näher eingegangen wird. Nur soviel: Der Experte muss nicht nur perfekt dreisprachig lesen und sich in vielfältigen Dramaturgien auskennen, sondern auch über soziale Kompetenz verfügen, um auf die Sensibilitäten der künstlerischen Tätigkeit produktiv eingehen zu können. Damit er auch unabhängig ist, darf er keine finanziellen Interessen in der Filmproduktion und Auswertung haben und muss deshalb entsprechend entlöhnt werden. Dieses Budget steht jedoch beim Bund gar nicht zur Verfügung.
Die Hauptprobleme sind jedoch grundsätzlicher Art:
- Erstens besteht die Reform auf der Prämisse, dass Einzelpersonen bessere Entscheide fällen als Gruppen. Dies mag im künstlerischen Prozess manchmal tatsächlich zutreffen, aber hier handelt es sich nicht um Künstler, sondern um Entscheidungsträger. Mit dem gleichen Argument könnte man auch die Gerichte durch Einzelrichter ersetzen oder den Gesamtbundesrat durch Herrn Merz. Wir leben in einer demokratischen Tradition, die der Machtkonzentration auf Einzelpersonen umso mehr misstraut, je wichtiger die Entscheidung ist, und ich denke zu Recht: Ein solches System ist sehr anfällig für Korruption, Willkür und politischen Druck. Einzelpersonen, die in einem ökonomischen Abhängigkeitsverhältnis zum Auftraggeber BAK stehen, können sich eine eigene Meinung nicht leisten. Andererseits werden die Filmschaffenden ihre Energie darauf verwenden müssen, mit den Experten gut auszukommen und ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. Zu erwarten ist eine Günstlingswirtschaft wie im Ancien Regime.
- Zweitens übernimmt der Experte mit der Begleitung des Projektes eine zentrale Rolle des Produzenten: Es ist die Aufgabe des Produzenten, Stoffe auszuwählen und diese im Dialog mit den Autoren und Produzenten zu entwickeln und dann natürlich auch eine Finanzierung dafür zu finden. Es braucht hier nicht noch eine zusätzliche Person, die mitdiskutiert. Das hilft dem künstlerischen Projekt nicht. Vor allem aber ist es nicht Aufgabe des Staates, sich inhaltlich in die künstlerische Tätigkeit einzumischen. Was geschieht, wenn der Filmautor den Empfehlungen des Experten nicht folgt? Wird der Berater, der gleichzeitig Entscheidungsträger ist, seine Empfehlungen mit Massnahmen durchsetzen?
- Der Staat hat keine Agenda bei der Kunst: Eine wesentliche Aufgabe der Kunst ist es, die Gesellschaft zu reflektieren, zu hinterfragen und auch zu provozieren. Die Gesellschaft braucht die Kunst als störrischen Experten. Wenn der Staat in die Herstellung eingreift, dann ist diese Expertise so nutzlos, wie wenn ein Patient dem Arzt die Diagnose diktiert oder eine Bank am Revisorenbericht herumschreibt.
Es ist auch unverständlich, warum sich das BAK freiwillig und unnötigerweise einem grösseren politischen Druck seitens der Politik aussetzen will. Stellen wir uns vor, ein Nationalrat fühlt sich durch einen Film provoziert. Dann ist das BAK voll verantwortlich mit ihrem Beamten, der das Projekt begleitet hat. Jetzt kann die Kommission einfach sagen: «Sorry, wir haben einfach die besten Vorschläge ausgewählt.»
Es ist klar, dass jedes System der selektiven Förderung zu Unzufriedenheiten führen wird, weil es selektiv ist und wegen dem tiefen Bundesbudget auch viele gute Projekte ausschliesst. Es besteht auch Unzufriedenheit beim BAK bezüglich der administrativen Begleitung. Man sollte jedoch nicht ohne Not grundsätzliche Errungenschaften über Bord werfen. Das Prinzip, dass Künstler selber demokratisch über die Kunstförderung entscheiden, ist vom neuen deutschen Film in den sechzigern Jahren erkämpft. Viele Künstler anderer Bereiche bewundern uns um diese Autonomie. Diese ist manchmal langsam und schwerfällig, aber ich denke, jeder ernsthafte Künstler zieht diesen Prozess den goldenen Fesseln vor.
Seit ein paar Jahren redet man uns ein, dass wir keine guten Filme machen können, und manche von uns beginnen es glauben und hoffen auf die Experten, um die Filme besser zu machen. Ihnen möchte ich sagen: Die Qualität, die allein schon in den fünf Dokumentarfilmen liegt, die dieses Jahr für den Filmpreis nominiert wurden, macht uns zur Zeit kein anderes europäisches Land nach. Dies wird auch international anerkannt, nicht zuletzt mit den zwei Nominationen und dem Preisträger des europäischen Dokumentarfilmpreises.
Der rückwärtsgerichtete Vorschlag des BAK ist deshalb mit aller Deutlichkeit zurückzuweisen. Wenn es beim BAK Handlungsbedarf gibt, dann sicher beim administrativen Überbau, bei der fehlenden sozialen Kompetenz und beim mangelnden Geld. Aber die Kommissionen sind nicht das Problem.
Matthias Bürcher
Dänisches Filminstitut: http://www.dfi.dk
1. Teilnehmerliste Arbeitsgruppe Filmförderungskonzepte 2011-2015 - AGF (Stellvertreter stehen jeweils in Klammern): Produzenten: Robert Boner (Ruth Waldburger), Rolf Schmid (Ruedi Santschi), Christoph Neracher (Lukas Hobi). Autoren: Lutz Konermann (Stefan Haupt), Denis Rabaglia (Stina Werenfels), Christoph Schaub (Christian Frei). Techniker: Karin Vollrath. Verleih: Felix Hächler (Bea Cuttat), Helene Cardis (Daniel Treichler). Kino: Edna Epelbaum (Edi Stöckli), Yves Moser (Edi Stöckli). BAK: Nicolas Bideau, Laurent Steiert, Olivier Müller.