Kunstfreiheit und Urheberrecht

2013-09-20
Kunstfreiheit gibt es in einer Gesellschaft nur, wenn die Künstler/innen von ihrer Arbeit auch leben können. Diese werden jedoch zur Zeit enteignet.

In der Diskussion wird das Urheberrecht oft als Interessenausgleich zwischen Urhebern und Nutzern angesehen. Das ist es natürlich, aber nicht nur. Der folgende Artikel geht darauf ein, dass das Urheberrecht ein wesentliches Element ist, die Kunstfreiheit zu gewährleisten.
In der vorindustriellen Gesellschaft gab es keine Kunstfreiheit. Die Künstler arbeiteten im Auftrag der Mächtigen. Es war ein System mit wenigen Sendern und wenigen Empfängern, denn die Kunst war zeitaufwendig und darum kostspielig. Der Hofnarr verliess nie den harmlosen Bereich. Die ernsthaften Künste wurden von Kirche und weltlicher Macht kontrolliert. Die Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg verbesserte die Situation vorerst nicht, sondern führte zu einer strengeren Zensur. Das feudale System konnte eine Meinungsäusserungsfreiheit nicht zulassen.

Die bürgerliche industrielle Gesellschaft führte unter anderem die Warengesellschaft ein, aber auch Meinungsfreiheit. Dies führte zu einem System mit wenigen Sendern, aber vielen Empfängern. Die Bücher, dann die Filme im Kino und schliesslich die Musikschallplatten konnten weit verbreiten werden und damit auch weit finanziert werden. Der Künstler war jetzt nicht mehr von einer Finanzierungsquelle abhängig, sondern von vielen. Dies war die ökonomische Grundlage für die Kunstfreiheit.

In der Realität war es dann etwas komplizierter:

Erstens konnten Künstler ihre Werke nicht direkt ihrem Publikum verkaufen. Die Massenkultur bedingte ein System von Produzenten, Vertrieben und Verlagen, die ihrerseits ihre eigenen Interessen hatten und ihre Machtposition auch gegenüber den Urhebern ausspielten.

Das Urheberrecht hatte deshalb nicht nur die Aufgabe, die unlautere Konkurrenz der Kopie zu bekämpfen, sondern auch sicherzustellen, dass die Urheber ihren Anteil an der Verwertung ihrer Werke haben. Deshalb sind bestimmte Bestimmungen im Urheberrecht auch zwingend und greifen in die Vertragsfreiheit ein.
Die Urheber schlossen sich auch zu Urherberrechtsgesellschaften zusammen, um gegenüber den Verlagen auf Augenhöhe aufzutreten.
Zweitens funktionierte dieser Markt nicht immer. Insbesondere bei Künsten mit hohen Fixkosten wie Theater und Film war der Markt so klein, dass die Herstellungskosten nicht durch die Verkäufe eingespielt werden konnte. Markt garantiert deshalb noch nicht kulturelle Vielfalt.

Deshalb wurde ab dem Zweiten Weltkrieg zunehmend eine staatliche Kulturförderung eingeführt, um diesen Markt zu korrigieren. Damit sich aber nicht eine Staatskultur entwickelte und damit die Situation der vorindustriellen Gesellschaft, orientierte sich die Kulturförderung an klaren Kriterien: Professionalisierung, künstlerische Qualität und auch Autonomie des Kunstbereichs, wie dies ja auch bei der Wissenschaft der Fall ist. Dies wurde und wird meistens mit den Fachkommissionen umgesetzt, die wir heute kennen.

Das Modell der Massenkultur wenige Sender und viele Empfänger hatte seinen Höhepunkt Ende des 20. Jahrhunderts mit einem vielfältigen Angebot von Büchern, Tonträgern und Dutzenden von Fernsehkanälen in allen Haushalten. Die verwendete Zeit für den Medienkonsum war schon fast höher als die Arbeitszeit.
Mit der Informationsgesellschaft hat sich einiges geändert.

Erstens führt die digitale Verbreitung zur einer Auflösung des Warencharakters. Die Technik hat die Reproduktionskosten und auch die Verbreitungskosten auf fast null reduziert. Die digitale Kopie kostet technisch nichts, und kann deshalb praktisch nicht verhindert werden. Die Durchsetzbarkeit des Urheberrechts ist damit in Frage gestellt.

Zweitens haben aber vor allem die sozialen Netze das Modell der Verbreitung von Inhalten grundlegend verändert. Wir haben jetzt ein Modell von vielen Sendern und vielen Empfängern. Dies hat zwei Konsequenzen: Einerseits ist die verfügbare Zeit des Publikums begrenzt. Das Zeitbudget für kulturelle Werke steht in direkter Konkurrenz zum Zeitbudget für die Kommunikation mit Freunden auf den sozialen Netzen. Andererseits finden Musik, Filme, Facebook-Chat und die Katzenfoto auf dem gleiche Kanal statt. Es wird zunehmend schwierig, den Mehrwert des kulturellen Werkes zu begründen und durchzusetzen.
Wie schon an anderer Stelle beschrieben wurde, gibt es keine technischen Massnahmen, um das Urheberrecht für individuelle Transaktionen durchzusetzen, ohne eine umfassende Überwachungsgesellschaft einzuführen. Es ist davon auszugehen, dass ein gewisser Prozentsatz von Werken ohne das Einverständnis der Urheber kopiert wird.

Das bisherige ökonomische Modell der Kunst als Ware wird damit grundsätzlich in Frage gestellt. Die Gesellschaft ist aber auf Kunst angewiesen, weil sie dieser ihren Spiegel vorsetzt. Kunst entsteht aber nur, wenn Künstler Zeit haben, in die Tiefe zu arbeiten und nicht nur in die Breite. Es braucht deshalb ein neues ökonomisches Modell.

Zur Zeit diskutiert deshalb die Kommission AGUR 12 über mögliche Reformen des Urheberrecht, um der digitalen Welt gerecht zu werden. Man kann sich fragen, warum man es ändern möchte. Eigentlich definiert das Urheberrecht die Rechte klar: Jede Nutzung ausser die private im engeren Sinne muss vom Urheber bewilligt oder entschädigt werden. Man kann deshalb die Frage des Urheberrechts als Vollzugsproblem betrachten.

Es gibt deshalb verschiedene Vorschläge, die in die Richtung gehen, die Kontrolle zu verstärken: Warnungssysteme wie in Frankreich mit Hadopi, Providerhaftung, Blockierung von Websites. Diese ziehen jedoch alle eine wesentliche Einschränkung eines anderen Rechtsgutes ein: der Privatsphäre. Sie sind nicht möglich ohne eine umfassende Überwachung der Kommunikation auf dem Internet und insbesondere der IP-Nummern. Das Bundesgericht hat festgestellt, dass die Identität der Besitzer hinter einer IP-Nummer zur Privatsphäre gehört und deshalb nicht ohne Gesetzesgrundlage an die Rechteinhaber weitergegeben werden darf.

Diese polizeilichen Massnahmen brauchen deshalb eine Gesetzesänderung. Man muss sich jedoch bewusst sein, wie schnell die digitale Entwicklung geht. Das Parlament riskiert hier, Regeln zu setzen, die bei Inkraftsetzung schon technisch überholt sind. Ich erinnere daran, dass heute zum Beispiel von Download gesprochen wird, der Kulturkonsum sich aber sich jetzt schon von Download Richtung Streaming bewegt. Die Daten befinden sich jetzt alle irgendwo in der Cloud.

Die AGUR 12 diskutiert deshalb verschiedene Modelle. Die Stärkung der kollektiven Verwertung gehört auch dazu. Die Diskussion ist nicht einfach: Die Situation der Kulturschaffenden ist je nach Künstler verschieden. Filmschaffende zum Beispiel sind sich kollektive Verwertung gewohnt und haben damit gute Erfahrungen gemacht. In der Schweiz sind für sie die Einnahmen aus der kollektiven Verwertung höher als die privaten, und vor allem zuverlässiger und sichern damit die Kontinuität der Arbeit. Musikschaffende hingegen sehen sich zur Zeit durch die digitale Gratiskultur regelrecht enteignet und beklagen zu Recht, von der Politik im Stich gelassen zu werden. Die Literatur steht noch kurz vor dem grossen Sturm. Es wird Modelle geben müssen, die auf diese Vielfalt Rücksicht nehmen, was das Gesetz nicht einfacher machen wird.

Mitten in diesem Prozess greift die FDP-Fraktion mit ihrer parlamentarischen Initiative zur Abschaffung der Leerträgervergütung zu holzschnittartigen Vereinfachungen. Die Abgabe auf der Privatkopie sei ein alter Zopf und gehöre abgeschafft. Das Vorgehen erinnert an das Referendum der Jungfreisinnigen gegen die Buchpreisbindung und die gescheiterte Volksinitiative gegen die Bürokratie. Man vereinfacht ein vermeintliches Konsumentenproblem und räumt einfach auf, ohne sich um die Details zu kümmern. In den Diskussionen werden dann auch alle Vorurteile bemüht, die gegenüber den Künstlern hin und wieder geäussert werden: Die Kunst sei halt eine spezielle Passion, und die Freiweilligenarbeit sei ja auch anerkannt, ohne dass sie vergütet werde. So vorsätzlich wurde wohl noch selten ein ganzer Berufszweig enteignet.

Die FDP muss sich bewusst sein, dass Vergütungen der Privatkopie damit einhergeht, dass die Privatkopie in der Schweiz erlaubt sind. Wenn es keine Vergütung mehr gibt, fällt die gesetzliche Grundlage für die Privatkopie weg. Die Privatkopie, aber auch der Download wäre dann in der Schweiz wie in anderen Ländern verboten, und dieses Verbot müsste polizeilich durchgesetzt werden, wenn die Schweiz den Urhebern noch ein Eigentumsrecht zugestehen will, dass ja auch in der Bundesverfassung steht.

Als in den siebziger Jahren die Kassetten erschienen und sich die Frage stellte, ob man das Kopieren verbieten oder vergüten sollte, haben sich weise Politiker dafür entschieden, dass es keinen Sinn macht, einen Polizisten in jedes Kinderzimmer und jeden Schulhof zu stellen. Sie haben darum die Leerträgervergütung eingeführt, die das Eigentumsrecht mit einer Abgabe kompensiert. Natürlich war diese Abgabe nicht genau und führte dazu, weil auch andere Inhalte auf Kassetten aufgenommen wurde. Und natürlich verlieren auch die Urheber selber einen Teil der absoluten Kontrolle über ihr Werk. Es war aber die effizienteste Massnahme. Dies gibt es auch in anderen Bereichen: die Autobahnvignette ist pauschal bezahlt und nicht nach Kilometern abgerechnet. Das GA ist heute noch pauschal und gehört zum Erfolgsmodell der SBB.

Mit der Leerträgervergütung greift die FDP-Fraktion grundsätzlich die kollektive Verwertung an. Ohne kollektive Verwertungen kann das Eigentumsrecht der Urheber in der digitalen Welt jedoch nicht mehr gewährleistet werden. Es ist deshalb wichtig, dass das Parlament ein klares Zeichen setzt und die Initiative an ihren Absender zurücksendet.

Matthias Bürcher, 20.9.2013