DV:Kamera
von Denis Jutzeler (Kameramann) und Patrick Lindenmayer (Kameramann und Erfinder des FAZ bei Swiss Effects)
Erster Kontakt mit der DV: Keine Liebe auf den ersten Blick...
Denis Jutzeler hat mit der DV auf sehr verschiedenen Filmen Erfahrung gemacht (Industriefilm, Fernsehen, Werbung und 35mm-Film). Seine erste Erfahrung geht auf August 1996 zurück. Die Produktion hatte selber eine DV-Kamera gekauft und ihn gebeten, sie zu benutzen. Zu Beginn fand er sie zu klein und unhandlich. Nach getaner Arbeit kam er zum Schluss, dass die Wahl des Formats DV der speziellen Art der Produktion (leichte Reportage mit nichtprofessionellen Regisseuren) angemessen war.
... doch dann wird es besser
Seine zweite Erfahrung führte ihn dazu, die DV-Kamera als "caméra-stylo" zu benutzen. Die Werbeagentur wollte einen Film über die Studioarbeit eines Photographen. Die DV-Kamera ohne Originalton eignete sich perfekt für diese leichte Drehweise.
Vor kurzem drehte er auf DV für einen FAZ auf dem Film "Léopold R" von Jean-Blaise Junod. Nachdem der grösste Teil auf 35mm mit einer konventionellen Equipe abgedreht war, blieb Jutzeler alleine mit dem Regisseur, um die Aufnahmen auf DV zu machen. Sie suchten eine Ästhetik, die sich von derjenigen des 35mm abhob. Man nahm Abstand von den optimalen Einstellungen, um den Bildern die Ungeschicktheit von Recherchenbildern zu geben. Während der Dreh auf 35mm ein einfaches Spiel war, wandten Kamera und Regie viel Zeit und Versuche auf, diese spezielle Ästhetik zu finden, und die DV-Kamera erleichterte die Konzentration dazu nicht. Um den Effekt zu verstärken, wurden die Bilder auf Digibeta überspielt und entfärbt. Der Schnitt fand auf 35mm statt. Es wurde somit mehr Material gefazt, als schliesslich in der Filmkopie vorhanden war.
Wege des Bildes in der Postproduktion
Die meisten Bilder, die wir gesehen haben, mit Ausnahme jener von "Léopold R." wurden in der Postproduktion ziemlich klassisch verarbeitet:
Dreh auf DV-Kamera
offline Schnitt auf Avid oder einem anderen nonlinearen Schnittsystem
online Schnitt auf einer Beta SP-Bildregie oder direktes Ausspielen von Avid auf Beta SP
Es ist zu beachten, dass das Bild während der ganzen Bearbeitung nicht digital bleibt. Wie wir später sehen, sind diese Übergänge von analog zu digital und zurück mit grossen Qualitätsverlusten verbunden. Es ist auch zu beachten, dass der Kameramann die Kontrolle über die Bilder verliert, sind diese einmal in der Kamera. Eine Lichtbestimmung mit dem Kameramann ist nicht vorgesehen.
Die mit der Bildkompression verbunden Probleme werden vor allem bei der Wiedergabe der Details sichtbar.
Amateurkamera in der professionellen Arbeit: Probleme
Gewicht und Ergonomie der Kamera
Für einen Kameramann, der sich das Gewicht einer Betacam-SP oder einer 16mm-Kamera gewöhnt ist (ungefähr 8 kg), erscheint die DV-Kamera (300g) als Spielzeug. Unbewusst hat er die Tendenz, anders zu kadrieren.
Die Kamera ist nicht auf die professionelle Arbeit, sondern auf das grosse Amateurpublikum ausgerichtet. Die Kamerakonzeption zieht deshalb die Freude an der Bedienung einer Rationalisierung der Funktionen vor. Bei einer Betacam können alle Einstellungen gemacht werden, ohne das Auge vom Sucher wegzubewegen... unmöglich mit einer DV! Die Tasten sind entweder ausser Reichweite oder zu klein. Diese Schwierigkeit wird zu einem regelrechten Hindernis bei einer Live-Reportage, wo man, definitionsgemäss, schnell arbeiten muss. Oder aber der Kameramann begnügt sich, mit der Automatik zu arbeiten, was nicht sehr professionell ist.
Die Zoom- und Schärfenringe enthalten keine Skalen. Es ist deshalb unmöglich, mit einem Assistenten zu arbeiten. Das Objektiv ist zu klein. Es ist schwierig, mit Brennweiten präzise zu arbeiten. Ein einziges Zeichen im Sucher zeigt in etwa die Position des Zooms an.
Sucher: Farben und Belichtung
Man muss sich auch daran gewöhnen, das Bild zu gestalten mit all den Zeichen im Sucher, von denen es so viele gibt, dass man manchmal das Bildobjekt nicht mehr sieht... und dann beginnen sie auch noch zu blinken! Diese Zeichen können nicht abgestellt werden. Im Gegenteil, es gibt noch mehr von ihnen, wenn man manuell arbeitet.
Der Sucher der DV ist in Farbe (im Gegensatz zu den schwarz-weiss-Suchern der Betacam) und die Farben sind ziemlich weit von der Realität entfernt. Sie entsprechen nicht dem Schlussresultat auf der Leinwand. Es ist deshalb unumgänglich, einen Kontrollmonitor bei sich zu haben, um die Qualität des Bildes und die Farbwiedergabe zu überprüfen.
Im Sucher ist es auch schwierig, eine Blickrichtung zu identifizieren, was zu Problemen bei den Anschlüssen führen kann.
Bildausschnitt und Sucher
Der Sucher zeigt nicht das aufgenommene Bild, es stimmt weder die horizontale noch die vertikale Achse. Die Kamera muss deshalb getestet werden, um die Abweichung vom Bildausschnitt zu definieren. Es kommt häufig vor, dass ein Kameramann ein Mikrophon nicht im Sucher sieht, es sich dann aber doch im Bild befindet.
Belichtung
Die Belichtung ist ein schwieriges Problem, sowohl in bezug auf deren Einstellung wie auf die Möglichkeiten der Kamera selber. Wie bei den Farben ist der Sucher keine Referenz. Wenn das Auge sich im Sucher nur um wenige Grade bewegt, verändert sich der Eindruck der Belichtung komplett. Es gibt auch keine Möglichkeit, Helligkeit und Kontrast zuverlässig einzustellen. Hohe Kontraste, vor allem aussen, sowie dunkle Situationen sind problematisch.
Weissabgleich
Der Weissabgleich ist bemerkenswert fortgeschritten. Mit der Automatik ist es möglich, von aussen nach innen zu gehe, wobei der Farbtemperaturwechsel praktisch unsichtbar ist. In dieser Hinsicht ist die Arbeit mit der DV einfacher geworden.
Schärfe
Wie bei Video allgemein ist es unmöglich, Objekte im Bild zu isolieren, indem man mit der Tiefenschärfe arbeitet. Je kleiner das Format, desto kleiner die Brennweite, umso grösser die Tiefenschärfe.
Und wie immer bei der Amateurlogik versucht die DV-Kamera, dem Kunden gerecht zu werden und eine möglichst grosse Schärfenregelung anzubieten, vom Makro bis unendlich. Um dies zu erreichen, arbeitet die Linse automatisch, und es wird schwierig, die Schärfe manuell zu machen. Dies stellt ein regelrechtes Problem bei der Regelung des Backfocus: Bei einer professionellen Kamera stellt man die Schärfe im Telebereich ein, zoomt zurück, und die Schärfe stimmt korrekt. Bei der DV-Kamera verliert man die Schärfe, wenn man die Brennweite ändert.
Um das Kapitel Sucher zu beenden, ist noch zu sagen, dass es schwierig ist zu beurteilen, was scharf ist und was nicht.
All diese Probleme mit der Schärfe, der Belichtung und des Weissabgleichs verleiten den Benutzer dazu, sich auf die Automatik zu verlassen, und dies noch mehr, seit diese immer genauer arbeiten. Dies kann zu Problemen für die professionelle Arbeit führen. Gewisse Bildsituationen sind schwierig zu erreichen: Schärfewechsel innerhalb einer Einstellung, jemandem im Travelling verfolgen und die Schärfe auf ihm behalten...
Bildstabilisierung (Steady shot)
Es gibt zwei Arten von Steady shot: den optischen (wie bei der VX-1000 von Sony) und den elektronischen (wie bei der EWZ-1 von Panasonic). Der elektronische Steadyshot analysiert das Bild und benutzt nur einen Teil seiner Oberfläche, um ein stabiles Bild wiederzugeben. Dieses Verfahren zieht einen Verlust bei der Auflösung mit sich, welches bei einer Projektion auf Leinwand sehr sichtbar wird. Der optische Steady shot bewegt ein Prisma im Objektiv, um die Schwingungen zu neutralisieren. Er kann ohne Qualitätsverlust beim Bild benutzt werden, aber man beobachtet manchmal, bei plötzlichem Anhalten eines Schwenks, eine leichte Korrekturbewegung. Mit der Zeit gewöhnt sich der Kameramann daran, indem er seine Schwenkbewegung anpasst.
Steadicam
Es gibt eine Steadicam speziell für die DV im Handel, sie ist allerdings nicht sehr stabil und insbesondere ungenau bei der Bestimmung des Bildausschnittes. Es ist schwierig, zweimal dieselbe Einstellung zu machen. Der Steadicam ist hingegen gut geeignet als Stativersatz für fixe Einstellungen. Der LCD-Bildschirm gibt auch einen grösseren Sucher her.
Robustheit
Die DV-Kamera ist unverwüstlicher als eine Digibeta. Sie macht keine Probleme bei extremen Temperaturen. Hingegen muss sie gegen Regen geschützt werden.
Drop outs
Die Drop out-Probleme sind nicht im Sucher sichtbar. Jede Kassette muss deshalb nach den Aufnahmen geprüft werden.
Die Drop outs können verschiedene Ursachen haben:
- Bandfehler
- Kompressionsfehler. Das DV-Bild ist komprimiert und ein Teil der Bildelemente wird hochgerechnet.
Alle DV-Bänder haben Drop outs, aber der Rechner in der Kamera kann diese Fehler auf erstaunliche Weise kompensieren. Sichtbare Drop outs sind somit grössere Fehler: Es handelt sich dann nicht mehr um eine einfache Linie, die durch das Bild geht. Die Fehler erscheinen zuerst als Rauschen und dann als Mosaikblöcke. Bei Problemen sollte man immer versuchen, das Band auf dem Gerät zu lesen, welches das Band aufgenommen hat.
Es sollte vermieden werden, Bilder im Schnellauf zu suchen. Man sollte unterscheiden zwischen einer Kontrolle der Kassette und deren Visionnierung.
Die einfachste Methode, Drop outs zu verhindern, ist es, mit einer Kamera zu arbeiten, die schon benutzt wurde: Die meisten Probleme tauchen auf, wenn das Material in Betrieb genommen wird.
Die Qualität der Kassetten variiert mit den Fabrikationszeiten und den Emulsionen. Es ist deshalb schwierig, sich definitiv zu den guten Kassettenmarken zu äussern. Es scheint aber, dass die professionellen Kassetten weniger Drop outs haben. Die DVCAM-Kassetten können auch auf den DV-Kameras benutzt werden, mit einer 30% längeren Aufnahmezeit als nominal. Es wird empfohlen, gleichzeitig alle Kassetten für einen Film zu kaufen und eine davon zu testen.
Sicherheitskopien
Die Drop out-Frage führt uns natürlich zur Frage der Sicherheitskopien.
Beim Dreh der "Salzmänner von Tibet" wurde keine Sicherheitskopie gemacht. Zu jener Zeit war es nicht möglich, von einer Kamera auf die andere zu kopieren. Bei den extremen Drehbedingungen &endash; ein einziger Generator zum Aufladen der Akkus für Bild und Ton, aber auch für Licht und Küche &endash; wäre es undenkbar gewesen, noch Strom für eine Sicherheitskopie abzuzweigen.
Es ist möglich, die Kassetten auf einen Amateur-Videorecorder digital zu kopieren. Auf dem grauen Markt werden ebenfalls Möglichkeiten angeboten, die VX-1000-Kameras umzubauen, um einen DV-Eingang zu ermöglichen. Die Canon-Kamera, die nächstens herauskommt, besitzt einen DV-Eingang und -Ausgang. In der Praxis sind Sicherheitskopien jedoch mehr eine Erklärung des guten Willens, der nicht lange in die Praxis umgesetzt wird. Es kann sehr ermüdend werden, nach einem langen Arbeitstag noch Kopien zu ziehen.
Ein Focal-Seminar unterstützt von Swiss Effects
Konzept: Tommaso Vergallo, Ueli Nüesch und Matthias Bürcher
Organisation: Elizabeth Waelchli
(Genf, 27. und 28. Februar 1998)
Zusammenfassung: Nicole Borgeat
Deutsche Übersetzung: Matthias Bürcher
Fürs Gegenlesen sei gedankt: Elizabeth Waelchli, Tommaso Vergallo, Ueli Nüesch