Die Jagd nach Marktanteilen
2002-10-28
Unterhaltsame Grafiken zur Filmförderungspolitik
Die Schweizer Filmförderungspolitik schreitet mit grossen Schritten voran. Mit dem neuen Förderkonzept soll die selektive Filmförderung so umgestaltet werden, dass die Schweiz auch bei den Grossen mitspielen kann. Zwei Filme an einem Wettbewerb in Cannes oder Venedig in den nächsten drei Jahren, hunderttausend Zuschauerinnen und Zuschauer mehr pro Jahr in den Schweizer Kinos lauten die ehrgeizigen Ziele. Und es wird auch kein Zweifel daran gelassen, wie dieses Ziel errreicht werden soll: Filmproduktionen mit höheren Budgets (2.5 Millionen Franken in der Schweiz alleine) und höheres Engagement in internationalen Koproduktionen. "Das Ziel, die schweizerischen Mittel für die Herstellung von Filmen anzuheben, bedingt einerseits eine Erhöhung der Höchstbeiträge auf 1.25 Mio. Franken pro Film (...) und - angesichts der beschränkt zur Verfügung stehenden Mittel - eine strengere Auswahl". Mehr Geld für weniger Filme, und nebenbei verzichtet man auf den Luxus der unrentablen Kurzfilme.
Diese Töne sind wir uns sonst eher vom Produktionspartner Fernsehen gewöhnt, der im harten Konkurrenzkampf täglich nach Sendequoten schielt. Die Frage, ob die selektive Förderung als Wirtschaftsförderungsinstrument gedacht und geeignet ist, soll hier offengelassen werden. Dieser Artikel möchte der inneren Logik des Förderkonzept nachgehen und überprüfen, ob denn auch grössere Produktionen mehr Publikum in die Kinos bringen. Lassen wir uns auf die Diskussion ein, und untersuchen wir den Return on Investment der Schweizer Filmförderung. Es soll im folgenden untersucht werden, inwieweit die Grösse des Filmbudgets und der entsprechenden Bundessubventionen mit dem Zuschauererfolg im Kino im Zusammenhang stehen. Die statistische Betrachtung stützt sich auf das Datenmaterial, das die GARP freundlicherweise auf ihrem Website http://www.garp-cinema.ch zur Verfügung stellt. Es enthält Budgetdaten und Zuschauerzahlen der Schweizer Filmproduktion von 1993 bis 2000.
Ein erster Blick auf die Zahlen vergleicht Produktionskosten und Zuschauerzahlen. Wie man sehen kann, stimmt die Aussage tatsächlich, dass teuerere Filme im Schnitt mehr Zuschauer/innen in die Säle bringen.
Dasselbe lässt sich für die Subventionen sagen. Je mehr Subventionen, desto mehr Zuschauer/innen.
Die Mittel der Bundes sind jedoch begrenzt: Wenn er höhere Subventionen an einen teueren Film zuspricht, dann müssen mehrere kleine Filme daran glauben. Die interessante Zahl ist deshalb die filmkulturelle Rendite: die Zuschauerzahl pro Produktionsfranken bzw. Subventionsfranken.
Wie man sieht, ist die Tendenz abnehmend. Während ein low-budget Projekt noch 0.02 Zuschauer/innen pro investierten Franken ins Kino lockt, so liegt der Wert bei 10 Millionen nur noch bei 0.01. Zugespitzt gesagt kostet ein "kleiner" Film 50 Franken pro Kinozuschauer, ein "grosser" Film 100 Franken. (Diese Betrachtung berücksichtigt die anderen Einnahmen wie Fernsehrechte, Auslandverkauf, Succès Cinéma natürlich nicht.)
Die Bundesfilmförderung hat offenbar etwas mehr Geschick, bei ihr ist die Kurve fast so flach wie ein Horizont am Meer. Umgekehrt gilt aber: Ob der Bund 10 Projekte mit 200'000 Franken fördert oder vier Projekte mit 500'000, die gesamte Zuschauer/innenzahl am Ende des Jahres ist dieselbe.
Man kann sich nun fragen, woher das kommt. Von der Theorie her wäre Kino eher ein Produkt mit grosser Skalenökonomie. Die einmaligen Produktionskosten und Lancierungskosten sind ziemlich hoch, die Kosten pro Zuschauer einigermassen vernachlässigbar. Man könnte meinen, mit dem richtigen Drehbuch, genug bekannten Stars und einem feuerwerkartigen Medienauftritt müsste die Sache zu gewinnen sein. Man kann hier drei Erklärungsversuche starten, warum dem vielleicht nicht so ist:
Erstens können die Produktionskosten überdurchschnittlich steigen, ohne dass sich dies im Ertrag niederschlägt. Man kann sich fragen, ob die Schweizer Filmproduktion überhaupt das industrielle Niveau hat, um Grossproduktionen so effizient abzuwickeln, dass man die Kosten im Film auch sieht.
Zweitens gibt es den Verdacht, dass grössere Produktionen vielleicht weniger unter dem Druck stehen, ihre Mittel so effizient einzusetzen, wie es die Kleinen (wohl in Selbstausbeutung) tun müssen.
Wie die Grafik zeigt, sprechen die Produktionsfirmen mit durchschnittlich 500'000 Franken Subvention pro Film einen Drittel weniger Zuschauer pro Produktionsfranken an als Produktionsfirmen, die durchschnittlich nur 100'000 Franken zugesprochen erhalten.
Drittens scheint aber auch der Markt für einen Film in den Schweizer Kinos begrenzt zu sein. Nur 3 von 122 Filmen erzielten eine Zuschauerzahl von deutlich über 100'000 Zuschauer/innen. Diese 100'000 scheinen so eine magische Grenze zu sein, eine Art Stammpublikum oder ansprechbares Publikum für Schweizer Filme, die, unabhängig vom Budget, ob eine oder sechs Millionen, nicht überschritten werden kann.
Für die Subventionspolitik spielt es aber eine Rolle, ob ein Film eine oder sechs Millionen gekostet hat. Um den Marktanteil des Schweizer Filmes im Jahr zu halten, muss der teuerere Film sechsmal soviele Zuschauer/innen einspielen, und das kann er nicht.
Aus ökonomischer Sicht ist es deshalb sinnvoll, mehr Filme im unteren und mittleren Bereich zu produzieren. Da stellt sich dann sofort aber die Frage zum Zugang zu den Kinos. Werden die Filme, die dann mehr produziert werden, dann auch gezeigt?
Das Zahlenmaterial ist sehr klein und die Schwankungen sind sehr gross, aber über die fünf Jahre zeigte sich, dass, je mehr Filme in einem Jahr produziert werden, desto grösser ist die gesamte Zuschauerzahl, desto mehr werden diese Filme dann auch gesehen. Nicht im Produktionsjahr, aber im nächsten und übernächsten Jahr. Im Gegensatz zu den 100'000 Eintritten ist der gesamte Marktanteil des Schweizer Films durchaus flexibel.
Die Frage stellt sich auch, ob die kleinen Filme dann überhaupt ein Gewicht haben. Das haben sie.
Die Filme mit einem Budget unter zwei Millionen machen fast die Hälfte des Marktanteiles in der Schweiz aus. Wer hier Kahlschlag betreibt und auf diese Filme verzichten will, wird lange arbeiten müssen, um diesen Marktanteil wieder einzuholen.
Das gleiche Bild sieht man wenn man die Filme nach Zuschauerzahlen klassiert. Mehr als die Hälfte des Marktanteiles wird durch die Filme mit weniger als 100'000 Zuschauer/innen erzielt.
Das Ziel eines höheren Marktanteiles des Schweizer Films wird mit einer Umverteilung der Mittel auf grössere Projekte nicht erreicht werden können. Der vorliegende Vorschlag wird keine Probleme lösen, sondern bestehende Kontinuitäten und Produktionsstrukturen zerstören. Wie der Return on Investment zeigt, braucht es für hunderttausend Zuschauer mehr schlicht eine Million mehr selektive Filmförderung. "Plus de fric", wie unsere Bundesrätin einmal gesagt hat.
Matthias Bürcher, Editor
PS zur Methodik: Es handelt sich hier offenbar um eine vollständige Population und nicht nur um eine Stichprobe, die Aussagen für die Betrachtungsperiode sind deshalb gültig. Andererseits ist die Population relativ klein, weshalb Schlussfolgerungen in die Zukunft nur bedingt gemacht werden können. Die Rohdaten (3-SC2 Version 9.1.xls) enthalten Produktionskosten, Bundessubventionen und Zuschauerzahlen von 122 Filmen, die zwischen 1993 und 2000 produziert worden sind. Davon wurden in der 4 Filme nicht berücksichtigt, die nicht im Kino herausgekommen sind. 23 Filme haben keine Bundessubventionen erhalten und fielen deshalb in den Grafiken über die Subventionen weg. Der Film "Broken Silence" von Panzer fiel in der Grafik Zuschauer/Subventionsfranken (0.55) als Ausreisser weg. Bei der Jahresmitteln wurden die offenbar unvollständigen Jahre 1993 und 2000 nicht berücksichtigt. Bei den Koproduktionen wurde sowohl bei den Kosten wie bei den Zuschauern nur der Schweizer Anteil berücksichtigt. Die Resultate unter Ausschluss der Koproduktionen wären jedoch vergleichbar. Die Grafiken enthalten die Einzeldaten als Punkte sowie eine Tendenzkurve (lineare Regression). Die Betrachtung erhebt keinen wissenschaftlichen Anspruch. Für die ausgewogene, objektive und zurückhaltende wissenschaftliche Studie muss ich zuerst noch ein Subventionsgesuch stellen.