Was darf der Film?

2013-08-08

von Matthias Bürcher

Der neue Film von Jean-Stéphane Bron L'EXPERIENCE BLOCHER ist schon vor seiner Premiere auf der Piazza Grande in Locarno Thema einer Polemik in Bundesbern. In der NZZ am Sonntag stört sich die SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger-Oberholzer daran, dass der Bund den Film mitfinanziert hat: Blocher solle sich den Film aus der eigenen Tasche bezahlen. "Kulturpolitisch ist dieses Thema zudem uninteressant." Sie will deshalb noch dem Bundesrat Berset "kritische Fragen" stellen und eventuell auch politisch aktiv werden. Die NZZ am Sonntag schreibt auch, dass sie sich den Film aus Prinzip nicht anschauen werde.

Ins gleiche Horn bläst ihre Parteikollegin Celsa Amarelle und Mitglied der staatspolitischen Kommission des Nationalrates am Westschweizer Radio RTS Forum. Ihr gehe es nicht um das Geld, sie warne aber davor, dass der talentierte Regisseur, der mit seinen Darstellern oft in Empathie arbeite, nicht genug Distanz zu seinem Subjekt entwickle und damit ein Propagandafilm entstehe. Es sei ein grundsätzliches Problem, dass die Intellektuelle und Künstler, die sich in der Schweiz mit der Macht beschäftigen, unfähig seien, die Macht zu kritisieren. Es fehle in der Schweiz ein Nanni Moretti und ein Orson Welles.

Man reibt sich die Augen. Sommerhitze? Anti-Blocher-Reflex? Affäre Hirschhorn mit umgekehrten Vorzeichen? Niemand hat den Film gesehen, auch der Schreibende nicht. Aber gerade darum gilt es ein paar kulturpolitische Grundsätze wieder in Erinnerung zu rufen.

Es gibt in der Schweiz keine Vorzensur. Die Vorstellung, dass es offenbar einen Tabubereich von Themen geben soll, die von einem Künstler nicht behandelt werden dürfen, ist unvereinbar mit einer freiheitlichen Gesellschaft. Die Filmschaffenden haben sich zu Recht vor drei Jahren erfolgreich dagegen gewehrt, dass die Filmproduktion vom Staat kontrolliert wird. Claude Ruey erinnert zu Recht daran: "Entweder sind wir in einer Staatskultur, wo der Staat die Themen definiert, oder wir sind in einer freiheitlichen Kultur, die vom Staat unterstützt wird."

Blocher ist ein relevantes Thema. Die Schweiz ist ein Staatswesen, in dem alle wichtigen Entscheide kollektiv getroffen werden. Wohl noch nie seit Escher hat ein einzelner Mann die Politik jahrzehntelang alleine dominiert. Blocher hat die Schweiz polarisiert und die Gesellschaft in eine fundamentalistische national-konservative Richtung gedrängt. Man kann die Schweiz der letzten zwanzig Jahre nicht zuverlässig beschreiben, ohne ihn zu erwähnen.

Die Kunstfreiheit bedingt, dass der Bund Filme lediglich nach Kriterien der künstlerischen Qualität fördert. Jean-Stéphane Bron hat einen Leistungsausweis, sich mit politischen und gesellschaftlichen Themen zu beschäftigen und unablässig daran zu arbeiten, bis der Film stimmt. Die finanzielle Unterstützung des Bundes ist aber auch gerade nötig, um dem Künstler die Unabhängigkeit zu geben, seine künstlerische Freiheit auszuüben. Es ist deshalb wichtig, dass ein Film über Blocher ohne Geld von Blocher gemacht wird.

Jean-Stéphane Bron hat sich kein einfaches Thema ausgewählt. Der Protagonist ist unberechenbar. Wie jeder Film kann auch dieser scheitern, und man kann ihn dann kritisieren, wenn man ihn gesehen hat.

Aber der Film ist für Blocher keine Bühne. Diese hat er schon im Albisgütli, in den Medien und im zuverlässigen Abwehrreflex von gewissen linken Politikern. Viele werden sich den Film anschauen, weil die Hauptperson bekannt ist. Die SVP wird deswegen weder Stimmen gewinnen noch verlieren. Aber vielleicht werden wir dank des Films etwas verstehen.

8.8.2013