Urheberrecht - Bitte um mehr Gelassenheit
2012-09-25
In diesem Text, der im Herbst 2012 für ein Seminar geschrieben wurde, stellt Matthias Bürcher fest, dass das Problem der Internetkopie nicht mit Verboten gelöst werden kann. Er schlägt deshalb vor, diese zu regulieren und wie die Privatopie mit einer kollektiven Verwertung abzugelten.
Mit der Entwicklung der Massenmedien in den letzten Jahrzehnten hat der Urheber selber immer mehr Gewicht innerhalb des Urheberrechts verloren. Die Rechte werden im Übrigen in den meisten Fällen nicht vom Urheber, sondern vom Produzenten oder von Verwertungsgesellschaften wahrgenommen und verwertet. Wir leben dabei zunehmend in einer Aufmerksamkeitsökonomie. Die Anzahl der Werke ist stark angestiegen. Dies ist an sich erfreulich und Ausdruck einer Vielfalt, der künstlerischen Freiheit und auch der Meinungsfreiheit. Gleichzeitig stehen aber die Werke in starker Konkurrenz zu einander, und diese Konkurrenz läuft nicht nur über den Preis, sondern auch die beschränkte Zeit, die das Publikum den Werken widmen kann. In dieser Umgebung wenden Studios und Verlage immer mehr Mittel für Marketing statt für die Herstellung auf. Man sagte mal, dass die Studios etwa gleich viel für die Herstellung wie für die Vermarktung ausgeben. Heute dürfte der Anteil der Vermarktung aber eher bei zwei Dritteln sein. Wenn nun ein Teil der Auswertung über Kopien durch das Internet abläuft und keine Einnahmen generiert, könnte man das auch unter Vermarktungskosten abbuchen.
Der ARF/FDS hat vor ein paar Jahren eine ausführliche Studie zu Jugend und Filmkultur durchgeführt und sich die Frage gestellt, wie der Film sein Weg zum jugendlichen Publikum finden kann. Es stellt sich heraus, dass er diesen Weg tatsächlich findet, aber nicht über die vorgesehen Kanäle. Wer von Gratiskultur spricht, sollte sich auch die Frage zu den Preisen von Kinos und Konzerten stellen, die klar überteuert sind. Jede jugendliche Generation hat sich ihren Platz genommen. Die achtziger Jahre kollektivistischer auf der Strasse, die jetzige vielleicht mehr individualistischer - wobei gerade bei den Piraten beide Tendenzen zu sehen sind: Der Gratiskonsum geht oft zusammen mit einer assoziativen Kultur des Austausches und persönlichen Gratisarbeit an kollektiven Projekten. Dies ist natürlich für Künstler kein langfristiges Geschäftsmodell. Wir sollten aber besser kennen, mit wem wir es zu tun haben.
Es gibt keine technischen repressiven Massnahmen ohne Nebenwirkungen massiver Einschränkung der persönlichen Freiheitsrechte. Die Geschichte von DRM und polizeilichen Massnahmen beim Internet hat immer wieder gezeigt, dass diese sehr schnell umgangen wurden. Letztes Beispiel ist die Schliessung von Megaupload. Diese Filme sind jetzt bei Youtube. Eine Suche nach «Film entier» bringt zehntausende von Resultaten mit Filmen in voller Länge, darunter auch Perlen, die sonst nicht mehr zugänglich sind, mit mehreren Untertitelfassungen. Eine weitergehende Kontrolle würde zu einer vollkommenen Überwachung des Internetverkehrs führen. Ich denke, wir haben lange genug gegen einen Überwachungsstaat gekämpft und möchten ihn nicht bei erster Gelegenheit einführen.
Was ist möglich? Das jetzige Urheberrecht erlaubt die Privatkopie, und dies schliesst insbesondere ein, dass ich eine CD mit Stücken zusammenstelle und an einen Freund weitergebe. Man muss zur Kentnis nehmen, dass sich die Privatsphäre mit den sozialen Netzen wesentlich verschoben hat. Die Freundin auf Facebook kennt dich vermutlich heute besser als die Platznachbarin in der Schule. Der nichtkommerzielle Austauch unter Freunden, auch virtuellen Freunden, ist deshalb wie Privatkopie zu behandeln und damit grundsätzlich erlaubt, aber abgegolten durch eine Leerträgerabgabe.
Was ist dieser neue Leerträger? Die Cloud. Die Beitreiber des Internetanschlusses haben ihr Geschäftsmodell auf der Verbreitung audiovisueller Inhalte aufgebaut. Nur für Emails bräuchten wir weder Breitband noch Glasfaserkabel. Swisscom und Cablecom erzielen mit dem Internetzugang je eine Milliarde Umsatz. Mit den kleinen Anbietern kommen wir wohl auf etwa 2.5 Milliarden im Jahr. 90% des Datenverkehrs betrifft audiovisuelle Inhalte, davon schätze ich jetzt mal die Hälfte als urheberrechtlich relevant. Wenn man den gesetzlichen Höchstansatz von 10% nimmt, müsste man den Internetprovidern einen Tarif von 4.5% des Umsatzes verrechnen (112 Millionen). Dieser Tarif wäre einfach umsetzbar, da es nicht sehr viele Internetprovider gibt. Es ist dann den Internetprovidern überlassen, wie sie den Tarif auf ihre Abonnenten weiterverrechnen, ob nach Datenmenge, Bandbreite oder pauschal, nach Betrieb oder privat - das entscheidet der Markt.
Im Gegenzug wird der Austausch zwischen Privatpersonen auf nicht kommerziellen Plattformen der Privatkopie gleichgestellt, wenn diese gewisse Mindestbedinungen erfüllen: (1) Keine Werbung, (2) die Bereitschaft, Statistiken zu erstellen, die als Grundlage für die Verteilung dienen, (3) die Bereitschaft, die Benutzung geolokal auf die Schweiz einzuschränken, und (4) die Einschränkung auf Titel, die bereits für den Heimmarkt veröffentlicht wurden (CD, DVD). Plattformen, die diese Bedingungen erfüllen, erhalten eine Konzession, die anderen werden konsequent gesperrt.
Es kommt immer wieder der Einwand, der Urheber werde mit einer globalen Lösung enteignet. Was die patrimonialen Rechte betrifft, stimmt es nicht, da die Benutzung entschädigt ist. Was die moralischen betrifft, ist dies jetzt schon in der Schweiz für viele Nutzungen der Fall: DVD-Vermietung, Bibliotheksausleihe, und schulische Nutzung sind bereits kollektiv geregelt. Und in vielen Fällen haben die Urheber die Rechte schon an Produzenten abgetreten: Journalisten zum Beispiel sind von den Zeitungen faktisch enteignet. Das Gesetz hat mit dem Erschöpfungsgrundsatz in Artikel 12 nicht vorgessehen, dass nicht nur das Gut, sondern auch der Träger immateriell geworden ist. Wenn jedoch ein Werkexemplar verkauft wird, die Person aber nicht darüber verfügen kann, dann entsteht ein Widerspruch zwischen Urheberrecht und Eigentumsrecht.
Ich sehe zur Zeit bei den Verbänden und Urheberrechtsgesellschaften eine Debatte, ob man verhandeln soll oder nicht. Es wird die Befürchtung geäussert, Dämme könnten brechen. Dazu ist festzuhalten: Das Internetkopieren wird weiterhin stattfinden wie die Sportarten Marihuana und Falschparkieren. Ich sehe keine politische Perspektive der Verschärfung des Urheberrechts oder deren Durchsetzung, das ist ein Holzweg. Die Politik wird erst neue Regeln setzen, wenn ein gesellschaftlicher Konsens erreicht wurde, weil sie schlicht von der Thematik überfordert ist. Ich erinnere daran, dass wir vor zwei Jahren ähnlich starke Konflikte in der Branche zur Filmförderung hatten, die erfolgreich mit der Fazilitation gelöst wurden. Wir sollten dies zum Beispiel nehmen. In der Romandie gibt es einen runden Tisch zwischen Musikern, Suisa und Piratenpartei. Der Weg ist weit, da die Vorstellungen weit auseinander und Kentnisse der Probleme der anderen noch minimal ist. Aber den Weg muss man gehen.
16.3.2013